Aus den Augen – aus dem Sinn?
Der Name der oberösterreichischen Stadt Braunau wird primär weder mit seinem historischen Stadtkern noch mit der spätgotischen Stadtpfarrkirche St. Stephan in Verbindung gebracht. Der Name des gebürtigen Braunauers Adolf Hitlers lastet bis heute auf der Stadt. Seit 2012 beschäftigt das Hitler-Geburtshaus Öffentlichkeit und Politik. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht dabei die Frage nach dem Umgang Österreichs mit seiner faschistischen Vergangenheit.
Ende des 19. Jahrhunderts bewohnten Alois und Klara Hitler eine der Mietwohnungen, die dem ehemaligen Braugasthaus in Braunau zugehörig waren. Am 20. April 1889 wurde dort ihr Sohn Adolf Hitler geboren, der dort seine ersten drei Lebensjahre verbrachte. Ob der Teil des denkmalgeschützten Gebäudes, in dem Hitler geboren wurde, überhaupt noch steht, wird von manchen HistorikerInnen bezweifelt. 1911 erwarb die Familie Pommer, Vorfahren der heutigen Besitzerin, die Liegenschaft und führte das Gasthaus bis ins Jahr des „Anschlusses Österreichs“ an das nationalsozialistische Reich weiter. 1938 erwarb der hohe Parteifunktionär und enge Vertraute des „Führers“ Martin Bormann das Hitler-Geburtshaus im Namen der NSDAP. Während der Zeit des NS wurden die Räumlichkeiten als Kunst- und Kulturzentrum genutzt. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg versuchten deutsche Soldaten das Geburtshaus zu sprengen, was jedoch durch US-Soldaten verhindert wurde. Noch im Jahr 1945 wurde dort eine Ausstellung installiert, die an die Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere in den Konzentrationslagern, erinnerte. Anfang der 1950er Jahre wurde die Liegenschaft an die Familie Pommer zurückgegeben und staatlich angemietet. Danach war dort die Stadtbücherei untergebracht, es folgte die Unterbringung der HTL Braunau und von 1977 bis 2011 die Nutzung durch die Lebenshilfe. Grund für den Auszug der Einrichtung der Lebenshilfe war letztlich die Weigerung der Eigentümerin das Haus barrierefrei umzubauen. Seit 2012 ist die Debatte über die Nutzung des Hitler-Geburtshauses in den Medien wieder präsenter. Es folgten einige Versuche des Staates das historisch-belastete Haus zu erwerben um damit zu verhindern, dass die Immobilie in falsche Hände gerät. Nachdem bis heute kein Kaufvertrag zustande kam, sah sich das Innenministerium gezwungen das mittlerweile seit 5 Jahren leerstehende Haus zu enteignen. Ein entsprechendes Gesetz wurde am 14. Dezember im Nationalrat beschlossen. Die Immobilie wandert damit in den Besitz der Republik.
Doch das ist noch lang nicht das Ende der Geschichte: Im Zentrum steht nun die Frage nach der Nutzung und dem richtigen Umgang mit der eigenen faschistischen Vergangenheit.
Expertenkommission arbeitete Empfehlung aus
Die vom Innenministerium eingesetzte Expertenkomission sprach sich für eine „sozial-karitative oder behördlich-administrative Nutzung“ aus. Die Schleifung, die Innenminister Sobotka für die „sauberste Lösung“ hält, lehnte die Kommission in ihrem Bericht ab. Doch auch ein Museum, dass sich der kritischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit verschreibt, kommt für die Kommission nicht in Frage, da dies „zu einer weiteren Assoziierung des Ortes mit der Person Hitlers“ führe und so weiterhin eine Gefahr bestünde, dass das Haus eine Nazi-Pilgerstätte bleibt. Die beste Möglichkeit zur Entmystifizierung des Ortes sieht die Kommission darin „eine tiefgreifende architektonische Umgestaltung vorzunehmen, die dem Gebäude den Wiedererkennungswert und damit die Symbolkraft entzieht.“
Doch nun wurde auch Kritik an der aus 13 Mitgliedern bestehenden Kommission laut. Der internationale Denkmalrat ICOMOS prangert an, dass keine internationalen Experten mit praktischen Kenntnissen im Umgang mit dem NS-Erbe zu Rate gezogen wurden. ICOMOS-Präsident, Wilfried Lipp stellt gegenüber dem Standard fest, dass die „Liquidierung belastender Zeugnisse“ eine „naive Leugnung der Erblast“ darstellen würde. Einer solchen Liquidierung entspräche auch die von der Kommission vorgeschlagene „tiefgreifende architektonische Umgestaltung“.
Rechtextremismus in Braunau und Nazipilgerstätte
Einem Problem sei laut Abriss-Befürwortern mit der Schleifung des belasteten Gebäudes jedenfalls entgegengesteuert: Dem Hitler-Tourismus. Denn das Geburtshaus stellt eine besonders beliebte Attraktion für Neonazis dar. Ein Foto für Facebook; mit Hitlergruß vor der Geburtsstätte eines der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte scheint für die Ewiggestrigen besonders erstrebenswert. Nicht nur in der heimischen Naziszene macht man gerne mal einen Abstecher zum Fotoshooting nach Braunau, auch in der internationalen Szene erfreut sich der Ort großer Beliebtheit. Raffael Schöberl von „braunau gegen rechts“ dazu: „Braunau als Geburtsstadt Hitlers hat für Neonazis weit über die Landesgrenzen hinaus einen hohen symbolischen Wert. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass das braune Netzwerk ‚Blood & Honour‘ bereits mehrfach Pilgerfahrten in Bezirkshauptstadt organisierte oder der einschlägig bekannte Neonazi-Rapper Makss Damage unlängst mit einem Erinnerungsfoto vor dem Geburtshaus prahlte. Anders als bei der ‚Neuen Rechten‘ gehören Führerkult, positive Bezugnahmen auf NS-VerbrecherInnen und die Glorifizierung des Nazi-Faschismus für Braunauer Neonazis zum guten Ton und sind fester Bestandteil im öffentlichen Auftreten der Szene.“ Dass Braunau mit dem Abriss des Hitler-Geburtshauses seine Symbolkraft für Nazis verliert ist unwahrscheinlich, wirft man einen Blick auf die Aktivitäten des braunen Sumpfes abseits des Hauses. Dazu gehören in den letzten Jahren z.B. ein Gedenken an den ehemaligen SA-Sturmführer Horst Wessel, die Eröffnung des ersten Thor-Steinar-Shops in Österreich oder der Vandalakt an dem Gedenkstein aus Mauthausen mit der Inschrift: „Für Frieden, Freiheit und Demokratie – Nie wieder Faschismus – Millionen Tote mahnen“, der seit 1989 auf dem Gehsteig vor dem Geburtshaus aufgestellt ist. Dieses Mahnmal gilt als erste eindeutige Distanzierung der Stadt vom Hitlertourismus, mit dem bis dahin auch noch schamloses Geschäft durch den Verkauf von Hitler-Souvenirs gemacht wurde. Aktiv entgegengesetzt wird den rechtsextremen Umtrieben von Seiten der Stadt bislang nichts Wirksames. Die Initiative „braunau gegen rechts“ ruft jedes Jahr, um den Geburtstag Hitlers herum, zur Demo auf. Anstatt das klare Zeichen gegen Rechts zu unterstützen, sieht beispielsweise Bezirkshauptmann Wojak darin einen „Schatten, dass alljährlich Demonstrationen stattfinden“. Auch die örtliche rechtsextreme Szene wird von Stadtvertretern gern runtergespielt. All das erklärt die Tendenz der Experten und einiger Politiker, sich des Geburtshauses schnellstmöglich und gründlich entledigen zu wollen. Jegliche politische Aktivität zum Thema Rechtsextremismus scheint in Braunau unerwünscht, denn diese durchkreuzt die Pläne, die unliebsame Vergangenheit und das aktuelle Problem der rechtsextremen Szene auszusitzen.
Was tun?
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass ein Geburtshaus, im Gegensatz zu einem Ort wie Mauthausen, an dem historische Verbrechen begangen wurden, nicht per se politisch-historisch konnotiert ist. Seine Bedeutung erlangt es erst durch das spätere Handeln der dort Geborenen im Verlauf ihres Lebens. Dem Geburtshaus wohnt damit noch kein politischer Kontext inne. Die spezielle Art des österreichischen Umgangs mit seiner faschistischen Vergangenheit ermöglichte, dass das Geburtshaus Hitlers zu einem Kristallisationspunkt des gegenwärtigen Rechtsextremismus wird. Erst die inhaltliche politisch-historische Neudefinition dieses speziellen Ortes in einen Gedenkort, der an die NS-Verbrechen erinnert und als Warnung vor Rechtsextremismus in der Gegenwart fungiert, entzieht den rechten Neigungsgruppen den Boden für diesen Identifikationsort. Es ist fragwürdig, ob der Abriss oder der gänzliche Umbau ein positives Image schafft. Das Plattmachen des Gebäudes und Entfremden des Geburtsortes ist sicherlich keine adäquate Lösung. Sie stellt den schnellen, „sauberen“ Weg des Umgangs mit der Vergangenheit dar: Aus den Augen aus dem Sinn – und hoffen, dass die Neonazis nach der Schleifung des Hauses endlich aufhören nach Braunau zu pilgern. Dass Verdrängung statt Aufklärung immer noch eine Option in manchen Köpfen zu sein scheint, ist mehr als bedenklich. Der kritische historische Umgang, der mittlerweile eigentlich gesellschaftlicher Konsens sein sollte, wird damit einfach ignoriert. Erinnerungen können schmerzvoll und unangenehm sein – aber sie sind auch notwendig, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt.